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Aktuelle Umfrage zum selektiven Trockenstellen zeigt: Angst vor Neuinfektionen ist groß

Von Dr. med. vet. Martin tho Seeth, Fachtierarzt für Milchhygiene und Dr. med. vet. Kerstin Duncker, Virbac Tierarzneimittel

Der prophylaktische Einsatz von Antibiotika ist nicht mehr erlaubt. Wenn selektives Trockenstellen strategisch geplant wird, können Antibiotika erfolgreich reduziert und Risiken minimiert werden. Wie das genau funktioniert, erfahren Sie hier.

Eutergesundheitsstörungen stellen Milchviehbetriebe vor große Herausforderungen und sind auch heute noch der häufigste Grund für den Einsatz von Antibiotika. Die Trockenstehzeit spielt für die Eutergesundheit einer Milchviehherde eine wichtige Rolle. Das Eutergewebe kann sich von der vorangegangenen Laktation regenerieren, und die Trockenstehzeit bietet eine gute Möglichkeit zur Ausheilung bestehender Infektionen. Zu Beginn sowie am Ende der Trockenstehzeit und während der ersten Laktationstage besteht jedoch auch ein erhöhtes Risiko für Neuinfektionen, welche durch ein optimales Management möglichst vermieden werden sollten. Die Anwendung antibiotischer Trockenstellpräparate bei Milchkühen ist seit vielen Jahren in Deutschland weit verbreitet. Jedoch profitieren nicht alle Tiere gleichermaßen von dieser Therapie. Antibiotische Behandlungen sind nur bei bestehenden Infektionen sinnvoll, und auch der beteiligte Mastitiserreger hat neben weiteren Faktoren Einfluss darauf, wie effektiv eine antibiotische Therapie wirklich ist. Die Verordnung 2019/6 der Europäischen Union (EU), welche seit 2022 in Kraft ist, verbietet den prophylaktischen Einsatz antibiotischer Präparate. Zur Vermeidung von Neuinfektionen in der Trockenstehzeit gibt es zudem effektive Alternativen wie z. B. eine gute Anwendungs- sowie Haltungshygiene, interne Zitzenversiegler und die Vermeidung geburtsnaher Erkrankungen.

Erprobte Konzepte verfügbar
Selektive Trockenstellprogramme, die mit einer Überprüfung sowie gegebenefalls Optimierung des Eutergesundheitsmanagements einhergehen und ein effektives Monitoring der Eutergesundheit voraussetzen, stellen eine sinnvolle Möglichkeit dar, den Verbrauch an antibiotischen Präparaten zu senken, ohne die Eutergesundheit der Milchviehherde zu gefährden. Die Identifizierung der Tiere bzw. Euterviertel, welche von einer antibiotischen Trockenstelltherapie profitieren, kann über verschiedene Wege gelingen. In der Praxis hat sich beispielsweise die Kombination aus somatischer Zellzahl der letzten Milchleistungsprüfung und einem Schalmtest am Tag des Trockenstellens bewährt. Aber auch Konzepte, welche beispielsweise auf einer bakteriologischen Untersuchung von Milchproben vor dem Trockenstellen basieren, sind natürlich möglich. Mittlerweile ist der Wissensstand bezüglich funktionierender sowie praktikabler Konzepte zum selektiven Trockenstellen sehr umfassend, und Studien liefern weiterhin neue wichtige Erkenntnisse. Trotzdem gibt es noch immer viele milchviehhaltende Betriebe, die sich mit Blick auf das selektive Trockenstellen Sorgen um die Eutergesundheit ihrer Milchviehherde machen. Dies ist einerseits verständlich und zeigt andererseits, dass es Bereiche gibt, in denen die tierärztliche Beratung auf den Betrieben noch Verbesserungspotential besitzt.

Abb. 1

Viele Betriebe haben dennoch Sorgen
Aufgrund der Tatsache, dass es trotz des aktuellen Wissenstands noch viele gefühlte Hürden bezüglich des Einstiegs in das selektive Trockenstellen gibt, wurde im August 2023 eine anonyme Online-Umfrage gestartet. Die Umfrage richtete sich gezielt an Betriebe, für die das selektive Trockenstellen bisher nicht zur festen Arbeitsroutine gehörte. Abgefragt wurden betriebliche Daten, die Erwartungen an das antibiotische Trockenstellen und mögliche Probleme, welche im Zusammenhang mit dem selektiven Trockenstellen in den Betrieben befürchtet werden oder bereits aufgetreten sind. Ziel war es, mögliche Bedürfnisse, Sorgen und Probleme der Landwirtinnen und Landwirte in Bezug auf das selektive Trockenstellen zu beleuchten, um einen möglichen Beratungsbedarf zu identifizieren. Auf diesem Weg soll die Kommunikation zwischen Tierarztpraxis und milchviehhaltendem Betrieb verbessert, die Beratung zum Thema Trockenstehzeit und selektivem Trockenstellen optimiert und zur Zukunftsfähigkeit der Milchviehbetriebe beigetragen werden.

Umfrage zeigt, wo noch Beratungsbedarf besteht
Insgesamt haben 115 Milchviehbetriebe aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands, aber auch Österreichs, an der Befragung teilgenommen. Die Umfrage zeigt, dass neben der geplanten Therapie in der Trockenstehzeit, mit dem Ziel der Ausheilung bestehender Infektionen, der Schutz vor Neuinfektionen bei vielen Betrieben weiterhin einer der Gründe ist, warum antibiotische Trockensteller eingesetzt werden. Auf die Frage „Was muss ein guter Trockensteller leisten?“ wurde in 42 % der abgegebenen Freitextantworten die Ausheilung bestehender Euterinfektionen genannt. In 43 % der Antworten wurde der Schutz vor Neuinfektionen angeführt (Abb. 1). Hierzu passen die Antworten auf die Frage „Welche Probleme befürchten Sie, wenn Sie Kühe ohne antibiotischen Trockensteller trockenstellen?“. 11,5 % der Betriebe gaben an, keine Befürchtungen zu haben. 88,5 % der Betriebe gaben an, Befürchtungen zu haben und nannten diese als Freitextantwort. In 34 % der Antworten wurden vermehrten Neuinfektionen bzw. erhöhte somatische Zellzahlen genannt, in 53 % vermehrte Euterentzündungen und in 8 % die Befürchtung eines Verlusts von Heilungsraten, wenn auf ein antibiotisches Trockenstellen verzichtet wird (Abb. 2). Zudem beschreibt der Großteil der teilnehmenden Betriebe, dass genau diese Probleme im Zusammenhang mit dem selektiven Trockenstellen bereits aufgetreten sind (Abb. 3).

Selektives Trockenstellen – gemeinsam mit der Hoftierarztpraxis zum Erfolg
An diesen Beispielen zeigt sich bereits, dass hinsichtlich des Transfers der umfassenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Trockenstehzeit und selektivem Trockenstellen in der Praxis noch Optimierungsbedarf besteht. In vielen Betrieben steht hinsichtlich des antibiotischen Trockenstellens der Präventionsgedanke im Vordergrund. An dieser Stelle sollte die Beratung ansetzen und Alternativen zum Schutz vor Neuinfektionen in der Trockenstehzeit aufzeigen. Dabei sollte beispielsweise gezielt die Haltungshygiene in der Trockenstehzeit bis in die frühe Laktation, die Anwendungshygiene beim Trockenstellen, das Auftreten abkalbenaher Erkrankungen und die Möglichkeit der Anwendung eines internen Zitzenversieglers überprüft werden. Dies verbessert nicht nur die Prävention von Infektionen in der Trockenstehzeit, sondern hilft auch dabei, mögliche Ursachen für bereits aufgetretene Probleme bezüglich des selektiven Trockenstellens zu finden. Besonders das Auftreten klinischer Euterentzündungen während der Trockenstehzeit ist mit 26 % ein häufig genanntes Problem. Auch in der Praxis sind diese Euterentzündungen immer wieder zu beobachten. Sie sind ein deutlicher Hinweis auf eine mangelnde Hygiene bei der Anwendung von internen Zitzenversieglern während des Trockenstellens sowie auf eine nicht ausreichende Haltungshygiene in der frühen Trockenstehzeit. Ein antibiotischer Trockensteller kann diese Mängel zumindest während des Trockenstellens und in der frühen Trockenstehzeit teilweise kaschieren. Daher muss die eigene Anwendungs- und Haltungshygiene zum Start ins selektive Trockenstellen kritisch bewertet und bei Bedarf optimiert werden.

Sinnvolle Kriterien im Rahmen eines selektiven Trockenstellkonzepts sind wichtig, um Tiere bzw. Euterviertel zu identifizieren, welche von einer antibiotischen Therapie profitieren. Das Konzept sollte gemeinsam mit der Tierarztpraxis erarbeitet, an die individuellen Bedingungen angepasst und der Erfolg regelmäßig anhand der Eutergesundheitskennzahlen überprüft werden. Wichtig erscheint hier, das antibiotische Trockenstellen im Rahmen des betrieblichen Eutergesundheitskonzepts eindeutig als geplante Therapie zu etablieren und die Prävention durch die bereits genannten Alternativen sicherzustellen.

Literatur auf Anfrage bei den Autoren erhältlich.
Zuerst erschienen im E-Magazin „Der Hoftierarzt“ 2/2024

Geflügelpest: Erstmals Wiederkäuer betroffen

Das Geflügelpestvirus macht weltweit schon lange Probleme. Seit 1996 breitet es sich von Asien aus wellenartig in verschiedenen Varianten aus. Derzeit dominiert die Variante H5N1, die wiederum neue Genotypen hervorbringt. Diese Genotypen können unterschiedlich virulent sein. Geringpathogene aviäre Influenzaviren (LPAIV) der Subtypen H5 und H7 verursachen bei Hausgeflügel, insbesondere bei Enten und Gänsen, kaum oder nur milde Krankheitssymptome. Allerdings können diese Viren spontan zu einer hochpathogenen Form (hochpathogene aviäre Influenzaviren, HPAIV) mutieren, die sich dann klinisch als Geflügelpest zeigt. Mittlerweile finden sich auch Geflügelpestviren, die nicht nur Vögel, sondern auch Säugetiere infizieren können, darunter Katzen, Hunde, Füchse, Bären, Robben, Tiger und Delphine. Und erst kürzlich kam aus den USA die Nachricht, dass das Virus erstmals bei Milchkühen gefunden wurde. Die hoch ansteckende Variante H5N1 kursierte in zwei Milchviehbetrieben des Bundesstaates Texas, und auch in anderen US-Bundesstaaten hat das Virus offenbar Rinder infiziert. Vermutlich erfolgte die Virusübertragung durch Wildvögelkontakt. Vor allem ältere Kühe fielen offenbar mit akutem Milchrückgang bis 20 Prozent auf. Virusnachweise erfolgten aus der Milch der Tiere mit z.T. hohen Viruslasten sowie in mindestens einem Fall auch aus einem Nasentupfer, schreibt das Friedrich Löffler Institut (FLI).

Infektion von Kuh auf Mensch
Nach Kontakt mit den infizierten Milchkühen ist nun sogar ein Mensch im US-Bundesstaat Texas positiv auf Vogelgrippe mit der Variante H5N1 getestet worden. Er litt zwar nur unter einer Bindehautentzündung, dennoch aber sind solche Infektionen besorgniserregend. Das festgestellte Virus ist ein in den USA bekannter, jedoch bislang nicht dominanter Genotyp des HPAIV H5N1 der Klade 2.3.4.4b. Schon vor gut einem Jahr gab es die erste Meldung darüber, dass diese H5N1-Variante bei einem Menschen gefunden wurde. Ältere H5N1-Varianten wurden beim Menschen schon früher diagnostiziert. Solange sich nur Säugetiere infizieren bzw. der Mensch sich an Säugetieren ansteckt, ist es nicht so kritisch, aber wenn sich Menschen untereinander mit H5N1 infizieren, wäre eine neue Situation erreicht. Vor allem könnten Infektionen bei Schweinen zu einer solchen Anpassung des Virus führen, da Schweine als sogenannte „mixed vessels“ empfänglich sind für Influenzaviren von Vögeln, Menschen und Schweinen. Und auch neue Stämme und Subtypen könnten aus diesen verschiedenen Influenza-Viren entstehen.

Für die Menschen auf den betroffenen Milchviehbetrieben empfehlen Experten nun Schutzmasken und -brillen, um sich vor einer Infektion zu schützen. Diese sei vor allem möglich durch Reinigungsarbeiten, wenn zum Beispiel Gänge mittels Hochdruckreinigern gesäubert werden, weil dies viele Aerosole produziert.

In Deutschland gibt es seit kurzem ein Monitoring für Influenzainfektionen bei Füchsen, da diese Fälle in letzter Zeit häufiger auftraten. In Anbetracht der stetigen Anwesenheit des Virus in Wildvogelpopulationen sind solche Übertragungen durch den Kontakt von Fleischfressern mit HPAIV-infizierten Wildvogelkadavern nicht unerwartet, schreibt das FLI. Die wichtigste Schnittstelle zwischen dem Menschen und HPAI H5N1-Viren bleiben jedoch infizierte Geflügelhaltungen.

Impfungen noch nicht ausgereift
Seit letztem Jahr ist nun erstmals eine Impfung von Geflügel gegen Geflügelpest in der EU möglich. Aktuell ist ein Impfstoff zugelassen, der allerdings nicht optimal gegen die derzeit kursierenden Viren angepasst ist. In den Niederlanden gab es erste Impfversuche bei Legehennen, die gute Ergebnisse erbrachten, allerdings mit Impfstoffen, die besser an die aktuellen Virenstämme angepasst, aber in der EU nicht zugelassen sind. In Frankreich läuft ein landesweites Impfprogramm bei Enten. Trotz Impfung erkrankten jedoch einige Tierbestände, woraus die Experten schlossen, dass Wiederholungsimpfungen nötig seien. Weiterhin risikomindernde Maßnahmen wie eine gute Biosicherheit auf den Betrieben und ein möglichst geringer Kontakt zu Wasservögeln sind also nach wie vor sehr wichtig.

In der aktuellen Risikoeinschätzung meldet das FLI, dass zwischen dem 01. und 31.03.2024 in Deutschland ausschließlich HPAIV H5-Fälle bei Wildvögeln nachgewiesen wurden. Die Zahl der HPAIV H5-Ausbrüche bei Hausgeflügel in Europa ist im März stark zurückgegangen. Die seit Oktober 2023 in Europa charakterisierten H5N1-HPAI-Viren der Klade 2.3.4.4.b weisen neue und unterschiedliche Genotypen auf, die vermutlich durch Reassortierung zirkulierender HPAI-Viren mit verschiedenen lokalen LPAI-Viren entstanden sind. Es ist eine erhöhte Anzahl neuer Genotypen mit einem erneuten Trend zu mehr Regionalität festzustellen. Insgesamt ist die Situation rund um die Geflügelpest derzeit als moderat einzustufen, so das FLI. Das Institut empfiehlt die weiterhin konsequent durchgeführte Bekämpfung der HPAI in Geflügelhaltungen als das wichtigste Werkzeug in der Vermeidung einer Exposition des Menschen gegenüber diesen Viren.

Quelle: Dr. Heike Engels

Zuerst erschinenen im E-Magazin „Der Hoftierarzt“ 2-2024. Für ein kostenfreies Abo können Sie sich hier ganz einfach registrieren.

Haptoglobingehalt in Milch gibt Hinweis auf kranke Kühe

Haptoglobin als Akute-Phase-Protein in Blutserum und in Milch gilt als Biomarker für entzündliche Erkrankungen. Der Haptoglobin-Wert steigt generell bei entzündlichen Erkrankungen und auch in Stresssituationen an und bleibt über längere Zeit erhöht. Im Vergleich zu Blutserumproben können Milchproben viel einfacher und günstiger entnommen und analysiert werden. Milch stellt ein leicht verfügbares Substrat dar, welches im Rahmen der Milchleistungsprüfung 11mal jährlich untersucht wird. Daher bietet sich die routinemäßige Haptoglobinbestimmung in der Milch als Parameter für das Tiergesundheitsmonitoring an. Deshalb war es Ziel einer Studie*, die Zusammenhänge zwischen erhöhter Haptoglobin-Konzentration in Milch und klinischen sowie labordiagnostischen Parametern bei Kühen in der Frühlaktation zu untersuchen. Gesunde und kranke Tiere sollen anhand von Grenzwerten für Haptoglobin in Milch unterschieden werden können.

Es wurden dafür in den Jahren 2019 bis 2021 insgesamt 1462 Milchkühe zwischen dem 5. und dem 65. Laktationstag auf 68 bayerischen Betrieben untersucht. Als Rassen waren Fleckvieh, Braunvieh und Holstein Friesian vertreten, alle Kühe lebten in Laufställen. Einmal wöchentlich wurden über 7 Wochen je Betrieb Milch- und Blutproben gezogen. Außerdem wurde die Rückenfettdicke via Ultraschall bestimmt, der Body Condition Score ermittelt und eine vaginale Metri-Check-Untersuchung zur Bestimmung der Gebärmuttergesundheit durchgeführt. Die Milchproben wurden immer zur gleichen Tageszeit genommen, um den Einfluss der Tageszeit zu minimieren, und auf Milchfett, Milcheiweiß, Laktose, Harnstoff, beta-Hydroxybutyrat und freie Fettsäuren, Zellzahl und Milch-Haptoglobin untersucht. Die Blutproben wurden auf Kreatinin und weitere Parameter sowie auf Blut-Haptoglobin untersucht.


Zuerst erschienen im zweimonatlichen Hoftierarzt E-Magazin. Zum kostenfreien Abo bitte einfach hier anmelden und dann den Link in der Bestätigungs-Mail anklicken. Anschließend den Artikel in der letzten Ausgabe weiterlesen:

 

Zeitsparend und präzise: Wie Technik die Lahmheitserkennung erleichtern kann

Lahmheit bei Milchkühen ist eine bedeutende Produktionskrankheit. Die frühe Erkennung von lahmen Tieren vermeidet unnötige Schmerzen bei den betroffenen Tieren. Wie automatische Systeme helfen können, lahme Kühe zu erkennen, das weiß Dr. Isabella Lorenzini. Sie ist Tierärztin sowie Projektmanagerin bei DigiMilch an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub bei München und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der automatischen Erkennung von Lahmheit mithilfe von Verhaltens- und Leistungsparametern.

Frau Dr. Lorenzini, wie stellt sich die Situation rund um die Lahmheit bei Kühen derzeit in Deutschland dar?
Die letzte groß angelegte Studie mit belastbaren Daten ist die von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Freien Universität Berlin und Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführte PraeRi-Studie. Dort wurde auch das Vorkommen von Lahmheiten auf Betrieben in Nord-, Ost- und Süddeutschland erfasst. Deren Anteil lag zwischen 25 und 38 % je nach Region in Deutschland. Das deckt sich mit den Angaben aus anderen europäischen und deutschen Studien der letzten Jahre, die besagen, dass ca. 25 bis 45 % der Kühe lahm sind. Lahmheit ist also definitiv noch ein Problem.

Was sind die Gründe für die hohe Lahmheitsprävalenz?
Das Problem liegt vor allem darin, dass die Lahmheit sehr schwer zu erkennen ist. Kühe sind Beutetiere und verstecken ihre Schmerzen so lange es geht, um nicht durch Schwäche aufzufallen. Das macht es nicht einfacher und wenn sie tatsächlich sichtbar lahm gehen, dann kann man davon ausgehen, dass das Problem schon länger besteht. Außerdem erhöht die steigende Tierzahl pro Betrieb die Arbeitslast für die Landwirte. Sie nennen mangelnde Zeit für die Einzeltierbeobachtung als einen der Hauptgründe für die hohe Lahmheitsprävalenz auf den eigenen Betrieben. Hinzu kommt, dass wenn man ein größeres Lahmheitsproblem in der Herde hat, es mit einer Behandlung ja nicht getan ist. Es muss auch nach den Ursachen gesucht und gegebenenfalls auch einiges im Management umgestellt werden. Überbelegung, Laufgangbeschaffenheit und -hygiene oder Liegeboxenhygiene sind oft ein Problem, sowie auch die falsche Anwendung von Klauenbädern. Diese Situation ist für viele Landwirte sehr frustrierend. Sie versuchen alles richtig zu machen und wissen häufig nicht, wo sie ansetzen können, um die Lahmheitssituation zu verbessern.

Hat die Lahmheit auch wirtschaftliche Folgen für den Betrieb?
Ja, natürlich, nicht ohne Grund gibt es den Spruch: Die Klauen tragen die Milch. Viele Studien beschäftigten sich schon mit den Kosten einer Lahmheit, es gibt direkte und indirekte Kosten, die Berechnung ist sehr komplex. Wir wissen auf jeden Fall, dass die Milchleistung bei lahmen Kühen abnimmt, nicht nur bei akuter Lahmheit, sondern auch als schleichender Prozess über Monate. Bei chronischer Lahmheit schon ab der ersten Laktation wissen wir, dass diese Tiere niemals ihr volles Milchleistungspotential ausschöpfen können. Lahmheit ist tatsächlich auch ein bedeutender Grund für vorzeitige Kuhabgänge, er belegt in Bayern aktuell den dritten Platz, wobei wir davon ausgehen, dass die Zahl auch noch höher sein könnte, da oft auch „sonstige Gründe“ für Abgänge angekreuzt wird.

Kann die Technik helfen, lahme Kühe früher zu erkennen?


Zuerst erschienen im zweimonatlichen Hoftierarzt E-Magazin 2/2024. Zum kostenfreien Abo bitte einfach hier anmelden und dann den Link in der Bestätigungs-Mail anklicken. Anschließend den Artikel in der letzten Ausgabe weiterlesen:

 

Erhöhtes Übertragungsrisiko durch Mücken / derzeit kein wirksamer Impfstoff aufgrund eines Herstellerrückrufs

Das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML) weist Tierhalter*innen auf die aktuell beginnende erhöhte Gefahr der Blauzungenkrankheit hin: Zwischen Mai und Oktober wird das Risiko der Übertragung des Virus der Blauzungenkrankheit durch Gnitzen (kleine blutsaugende Mücken) als hoch eingeschätzt. Darüber hinaus steht derzeit kein Impfstoff zur Verfügung.

Den einzig sicheren Schutz der Tiere gegen das Virus der Blauzungenkrankheit bietet eine Impfung. Sie sollte bis zum Beginn der Hauptflugzeit der übertragenden Gnitzen abgeschlossen sein. Ein seit kurzem angewendeter autogener Impfstoff gegen das Blauzungenvirus Serotyp 3 (BTV-3) wurde von der Herstellerfirma Ende April allerdings zurückgerufen, sodass die Anwendung der autogenen BTV-3-Vakzine im Moment nicht möglich ist. Weitere Impfstoffe stehen derzeit in Niedersachsen nicht zur Verfügung.

Sobald ein Impfstoff wieder zur Verfügung steht, wird das ML die betreffenden Verbände und Landkreise darüber informieren. Bereits mit dem autogenen Impfstoff geimpfte Tiere sollten sowohl durch die Tierhalter*in als auch durch die bestandbetreuenden Tierärzt*innen beobachtet werden. Im Falle von Erkrankungen ist von einer Verbringung abzusehen. Über das weitere Vorgehen informieren die zuständige Veterinärbehörde und der Impfstoffhersteller.

Risiko für Infektionen mit BTV-3 steigt mit Beginn der Gnitzenaktivität
Bereits nach der Feststellung der Seuche in den Niederlanden im vergangenen Herbst hatte das ML die zuständigen Behörden bezüglich des Auftretens der in Deutschland anzeigepflichtigen Tierseuche sensibilisiert. Auch Tierhalter*innen und Tierärzt*innen vor Ort sind spätestens seit dem ersten in Niedersachsen aufgetretenen Fall im vergangenen Oktober (LK Ammerland) äußerst wachsam. Zuvor waren in Niedersachsen seit 2009 keine Fälle von Blauzungenkrankheit mehr aufgetreten. Auf Menschen ist die Krankheit nicht übertragbar – auch nicht durch den Konsum von tierischen Produkten. Bei Wiederkäuern, vor allem bei Schafen und auch Rindern kann die Blauzungenkrankheit jedoch zu erheblichen Krankheitserscheinungen und Verlusten führen.

Hintergrund:
Laut einer qualitativen Risikobewertung des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI) wird die Gefahr der Virusübertragung auf empfängliche Tiere wie Schafe, aber auch Rinder zwischen Mai und Oktober als besonders hoch eingeschätzt. Für das Virus empfänglich sind auch Ziegen sowie Neuweltkameliden wie Alpakas und Wildwiederkäuer. Auch durch das Verbringen infizierter Tiere kann sich das Virus ausbreiten. Daher gelten für die Bestände in Niedersachsen, sowie in anderen von BTV-3 betroffenen Ländern, strengere Regeln wie eine verpflichtende PCR-Testung oder eine Behandlung mit mückenabweisenden Mitteln bei einer Verbringung in BTV-freie Gebiete. Seit dem ersten Ausbruchsfall am 25. Oktober 2023 im Landkreis Ammerland wurden bislang insgesamt 40 Feststellungen bei Schafen und Rindern aus elf Landkreisen in Niedersachsen gemeldet (Stand 6. Mai 2024).

Webseite Tierseuchen-Info des LAVES:
https://tierseucheninfo.niedersachsen.de/startseite/anzeigepflichtige_tierseuchen/klauentiere/blauzungenkrankheit/blauzungenkrankheit-21712.html

Risikobewertung des FLI:
https://www.openagrar.de/servlets/MCRFileNodeServlet/openagrar_derivate_00058523/BTV_Risikobewertung_2024-04-12-bf.pdf

Informationen der Ständigen Impfkommission Veterinärmedizin am FLI:
https://stiko-vet.fli.de/de/aktuelles/einzelansicht/blauzungenkrankheit-anwendung-des-autogenen-btv-3-impfstoffs-derzeit-nicht-moeglich/

https://www.openagrar.de/servlets/MCRFileNodeServlet/openagrar_derivate_00058512/Hinweise-Einsatz-autogener-BTV3-Impfstoffe.pdf

Quelle: Nds. Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

E-Magazin „Der Hoftierarzt“ 2/2024 steht zum kostenfreien Abruf bereit

Liebe Leserinnen und Leser!

„Der Hoftierarzt“ Ausgabe 2/2024 steht für Sie zum Abruf bereit und bietet folgende Themen:

• Interview: Zeitsparend und präzise: Wie Technik die Lahmheitserkennung erleichtern kann

• Haptoglobingehalt in Milch gibt Hinweis auf kranke Kühe

• Kryptosporidien-Impstoff zum Schutz von Kälbern

• Mit FullCount Sensor Zellgehalte überwachen

• Trockenstellen: Angst vor Neuinfektionen ist groß

• VIDA Fluxx® Ferkelfutter

• VILOFOSS® Kälberwohl – Leckmasse für Kälber

• Fütterungsstrategien zur Reduzierung von Coli-Durchfall bei Absetzferkeln

• Wie kann Qualität und Menge des Sauenkolostrums gesteigert werden?

• Strategien zur Minimierung von Kümmerern

• A-Hytten Rundbogenhallen

• MaxiGrip 4.0: Update für den Laufgangboden

Schwerpunk Geflügel:
• Biofilme im Tränkwassersystem reduzieren

• Frühe Fütterung hochverfügbarer Kohlenhydratquelle positiv für späteres Wachstum

• Geflügelpest: Erstmals Wiederkäuer betroffen

• Nachimpfung von gemauserten Elterntieren für die Hähnchenmast empfohlen

• Stressoren spielen große Rolle für die Schwarzkopfkrankheit bei Puten

Das Tiergesundheits-Magazin für Nutztierhalter erscheint alle zwei Monate im praktischen PDF-Format. Jetzt 1 x registrieren, 1 x in der Bestätigungs-Mail klicken und dann gleich kostenfrei downloaden und lesen!

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Abschlussveranstaltung der Vernetzungs- und Transfermaßnahme DigiTier

DigiTier begleitet 13 innovative Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Digitalisierung in der Nutztierhaltung, die über das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert werden. Durch Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit wird der Wissenstransfer zwischen Akteurinnen und Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, landwirtschaftlicher Praxis und Politik unterstützt.

Weitere Infos zu den Projekten und DigiTier finden Sie hier.

Bei unserem feierlichen Abschluss in Berlin, möchten wir Ihnen die Ergebnisse der Projekte und unserer Vernetzungsaktivitäten vorstellen. Es erwartet Sie ein abwechslungsreiches Programm mit inspirierenden Reden, einer lebhaften Podiumsdiskussion, einer interaktiven Projektausstellung und kulinarischen Genüssen.

Für die Veranstaltung stehen limitierte Plätze zur Verfügung und Anmeldungen werden daher nach dem First-Come-First-Serve-Prinzip bedient.

DigiTier Abschlussveranstaltung
Datum: Mittwoch, 05.06.2024
Uhrzeit: 14:30 – 21:00 Uhr, Registrierung ab 13:30 Uhr
Ort: Hotel AMANO East Side, Stralauer Pl. 30-31, 10243 Berlin
Kosten: kostenfrei
Link zur Anmeldung

Speaker:

MinDir Prof. Dr. Dr. Markus Schick– Leitung Abteilung 3 „Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit“ im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Michaela Filipini– Leitung Abteilung 3 „Förderung, Forschung, Innovation und Nachhaltigkeit“ der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung

Hendrik Haase – Autor, Designer und Food-Blogger

Herzstück der Veranstaltung ist eine Ausstellung der 13 über die Bekanntmachung zur Digitalisierung in der Nutztierhaltung geförderten Projekte. An interaktiven Ständen haben Sie die Möglichkeit, sich über die neuesten digitalen Entwicklungen für Stall, Weide und Aquakultur zu informieren. Beim anschließenden Get-Together mit Finger Food und Drinks besteht die Gelegenheit den Austausch weiter zu vertiefen.

innoMOO übernimmt Vertrieb von Pectolit® für Deutschland

Die Firma innoMOO, Spezialist für das Gesundheitstracking bei Kühen, übernimmt seit dem 1. April 2024 den Vertrieb von Pectolit® für Deutschland. Pectolit® ist ein Ergänzungsfuttermittel für Kälber und kann schon in den ersten Lebenstagen verabreicht werden. Die durchdachte Zusammensetzung ist rein pflanzlich und fördert mit Elektrolyten, Vitaminen, Spurenelementen und Molke sowie Probiotika, Leinsamen und Apfelfasern die Darmgesundheit. Davon profitieren Kälber in jeder Lebensphase: direkt nach der Geburt, bei Aufzucht- und bei Mastbeginn oder auch beim Übergang von Kolostrum zu Milch oder Milchpulver, denn das Ergänzungsfuttermittel beugt Verdauungsproblemen vor.

Auch bei akutem Durchfall hilft Pectolit® dem Kalb schnell. Durch den angenehmen Geschmack nimmt das kranke Kalb die angerührte Mahlzeit sofort auf und erhält schnell lebensnotwendige Elektrolyte und Flüssigkeit. Mit Hilfe der ausgewogenen Inhaltsstoffe beruhigt sich der Darm, die peristaltischen Bewegungen verlangsamen sich und es verringern sich damit die Schmerzen. Das enthaltende Bentonit, eine Tonerde, bindet schädliche Toxine und hilft, die Krankheitserreger aus dem Darm zu entfernen. Und ganz wichtig: Anders als bei vielen vergleichbaren Produkten ernährt Pectolit® das Kalb durch Glucose, Fett und Proteine wie mit einer richtigen Mahlzeit. Das Tier nimmt in dem Anwendungszeitraum von Pectolit® nicht ab, was zu einer schnellen Genesung beiträgt.

Die Dosis bei Durchfall beträgt 100 g in 2 Liter 40°C warmen Wassers zu jeder Mahlzeit. Die Anwendung sollte so lange erfolgen, bis das Kalb wieder gesund ist. Das Pulver ist gut löslich in Wasser und Milch. Abgepackt in praktischen 3 kg und 9 kg Eimern ist es nach Anbruch 18 Monate haltbar. Pectolit® ist nicht verschreibungspflichtig.

 

 

Weitere Informationen unter:
innoMOO GmbH – Gesundheitstracking für Kühe
Lothar Weber
Telefon: + 49 176 43502811
E-Mai: lothar.weber@innoMOO.de
www.innoMOO.de

Unternehmensinformation
innoMOO GmbH – Gesundheitstracking für Kühe
Das Unternehmen wurde im August 2022 gegründet, um innovative Produkte für Milchviehbetriebe auf den deutschen Markt zu bringen. Die Produktpalette umfasst Sensortechniken für Kühe, kleine Wiederkäuer und spezielle Futterkomponenten für kleine und große Wiederkäuer.

innoMOO ist exklusiver ENGS-Vertriebspartner. ENGS ist seit vielen Jahren Spezialist auf dem Gebiet der Kuhortung und Gesundheitsüberwachung von Kühen. ENGS-Produkte und jetzt auch Pectolit® werden in Deutschland ausschließlich über die innoMOO GmbH vertrieben.

Im Fokus des Unternehmens stehen innovativ denkende Tierärzte und Landwirte. InnoMOO steht für persönliche Beratung sowie technisches und wissenschaftliches Know-how.

Kontakt Unternehmen
innoMOO GmbH – Gesundheitstracking für Kühe
Lothar Weber
In der Au 7
53577 Neustadt (Wied)
Telefon: + 49 176 43502811
E-Mai: lothar.weber@innoMOO.de
www.innoMOO.de

Extensive Beweidung: gut für die lokale Biodiversität, aber herausfordernd für Landnutzer

Ein Forschungsteam unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) hat untersucht, mit welcher Motivation Landnutzer in Europa eine extensive Beweidung betreiben und welchen Herausforderungen sie gegenüberstehen. Die Ergebnisse der Befragungen wurden im Fachmagazin Land Use Policy veröffentlicht. Sie zeigen, dass flexiblere Förderbedingungen zu einer Verbesserung beitragen könnten.

Die Beweidung durch Haus- und Wildtiere prägt Landschaften in ganz Europa. Sie trägt zu verschiedenen Ökosystemleistungen bei, etwa zur Bereitstellung von Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten oder zum Schutz vor Überschwemmungen. Extensive Weidesysteme mit einer geringeren Dichte an Tieren und mit einer minimalen, gezielten Nutzung von Entwurmungsmitteln und anderen Behandlungen bieten lokal Vorteile für den Schutz der biologischen Vielfalt und für verschiedene Ökosystemleistungen. Doch angesichts der Herausforderungen, die diese Form der Bewirtschaftung birgt, nimmt die Zahl der Landnutzer, die eine extensive Beweidung betreiben, ständig ab. Ein Forschungsteam unter der Leitung von iDiv, UL und UFZ hat genau diese Herausforderungen und mögliche Interventionen in acht europäischen Fallstudien untersucht. Zwischen 2019 und 2021 führten sie 74 Interviews mit Landwirten, Landeigentümern, Viehhaltern und Managern eines Renaturierungsgebietes, das von Wildpferden und halbwilden Rindern beweidet wird.

Landnutzer sind auf Subventionen angewiesen, aber Geld ist nicht alles
In den Interviews wollten die Forscherinnen und Forscher mehr über die Beweggründe und Herausforderungen der Landnutzer erfahren, die sich für eine extensive Beweidung einsetzen – und das, obwohl wirtschaftliche Überlegungen immer wichtiger werden. Denn die Einnahmen durch die Bewirtschaftung der Flächen reichen nicht mehr aus, um die steigenden Kosten für Ausrüstung, Pacht und Steuern zu decken.

„Geld ist nicht alles. Viele der von uns befragten Landnutzer haben sich für diese Art des Weidemanagements entschieden, weil sie es für gut halten, und nicht aus einer wirtschaftlichen Motivation heraus“, sagt Erstautorin Dr. Julia Rouet-Leduc. Rouet-Leduc leitete das Projekt als Doktorandin bei iDiv und an der UL und forscht mittlerweile am Stockholm Resilience Centre. Die Sorge um die Natur sei für die Landnutzer ein durchaus wichtiger Aspekt, und in einigen Fällen auch der Wunsch, traditionelle landwirtschaftliche Praktiken beizubehalten.

Dies bestätigte auch ein Landnutzer, der in Galizien (Spanien) mit wilden Ponys arbeitet: „Der Hauptgrund, weshalb dieses System überhaupt noch aufrechterhalten wird, ist, dass die Leute … die Ponys lieben; sie haben das Pferdefieber, und die Tradition ist tief in ihren Herzen verankert.“

Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass viele Landnutzer mit Regeln und Vorschriften zu kämpfen haben, die mit einem extensiven Weidemanagement unvereinbar scheinen. Als hinderlich empfunden wurden beispielsweise Vorschriften zur Kennzeichnung des Viehs – eine sehr schwierige Aufgabe, wenn die Tiere auf großen Flächen frei weiden dürfen. Nach Ansicht der Landnutzer behinderten die geltenden politischen Maßnahmen, insbesondere die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Kommission (GAP), naturnahe und nachhaltige Praktiken. Ein Landnutzer in Rumänien beschrieb, dass die Landwirte alle Sträucher von ihren Weiden entfernen müssten, da sie sonst keine Subventionen erhielten oder ihnen sogar Bußgelder auferlegt wurden. Diese Sträucher erfüllen jedoch innerhalb des Ökosystems wichtige Funktionen, indem sie beispielsweise im Sommer Schatten spenden und im Winter für das Vieh eine zusätzliche Nahrungsquelle darstellen. Im Allgemeinen wurde die GAP als zu restriktiv empfunden, und viele Landnutzer beantragten lieber gar keine Subventionen. „Indem wir keine Beihilfen beantragen, können wir wirklich frei entscheiden, was für das lokale Ökosystem am besten ist“, erklärte ein belgischer Landnutzer.

Landflucht gefährdet traditionelle Jobs
Die Interviews zeigten auch, dass viele Landnutzer mit den sozioökonomischen Veränderungen auf dem Land zu kämpfen haben. Die Landflucht führt zu einem Mangel an Arbeitskräften, während körperliche Arbeit nach wie vor unersetzbar ist, insbesondere bei der Arbeit mit Rindern und Pferden. „Die nächste Generation will nicht in der Landwirtschaft arbeiten, weil es zu hart ist, zu viel Arbeit“, sagte ein Landnutzer aus Litauen. „Sie wandern lieber aus und suchen sich einen Job, der weniger anstrengend ist.“

„Die GAP könnte Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert stärken und Anreize für Landwirte schaffen, um extensive Weidesysteme zu erhalten oder wiederherzustellen“, meint Seniorautor Dr. Guy Pe’er, der am UFZ und bei iDiv forscht. „Es liegt nicht daran, dass kein Budget da ist. Sondern eher am mangelnden Ehrgeiz, eine nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen.“

Mehr Flexibilität und besserer Zugang zu Märkten
Auf Basis der Interviews leitete das Forschungsteam mögliche Maßnahmen zur Förderung extensiver Beweidungspraktiken ab. „Was wir brauchen, ist mehr Flexibilität für die Landnutzer“, findet Rouet-Leduc. „Die derzeitige Politik fördert solche Praktiken größtenteils nicht und bietet vor allem keine gleichen Wettbewerbsbedingungen.“ Die GAP der EU biete zwar wichtige wirtschaftliche Unterstützung, fördere aber mit problematischen Anforderungen auch eine kontraproduktive Bewirtschaftung. Zusätzliche finanzielle Anreize könnten die Unterstützung für ein extensives Weidemanagement verbessern, so die Autoren der Studie. Vor allem in Gebieten, in denen Land aufgegeben wurde, böten sich viele Möglichkeiten für ein Rewilding mit großen Pflanzenfressern, die verschiedene Ökosystemleistungen erbringen. Aber auch das sei ohne Flexibilität nicht möglich, denn die Unterschiede zur Bewirtschaftung mit domestizierten Tieren seien erheblich.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen außerdem eine bessere Kennzeichnung und Zertifizierung von umweltfreundlicher Beweidung, um die öffentliche Unterstützung zu erhöhen und die Entwicklung von Märkten für solche Produkte zu fördern. Einige der befragten Landnutzer waren zudem der Ansicht, dass der Marktzugang durch die Förderung der Direktvermarktung verbessert werden könnte, beispielsweise über Hofläden.

„Es gibt definitiv echte Herausforderungen für die Landwirte, die nicht leicht zu bewältigen sind“, meint Pe’er mit Blick auf die anhaltenden Bauerndemonstrationen. „Aber die Abschaffung von Umweltstandards wird den Landnutzern nicht helfen. Sie brauchen ein Paket aus Maßnahmen, das eine ehrgeizige GAP-Reform umfasst, die Landwirte unterstützt, die nachhaltiger wirtschaften; ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, um die Standards für gute Bewirtschaftung zu verbessern; und einen Rahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme, um die Marktoptionen für eine nachhaltige Landwirtschaft zu verbessern.“

Diese Studie wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) und im Rahmen von GRAZELIFE, einem LIFE-Vorbereitungsprojekt im Auftrag der Europäischen Kommission zur Bewertung der Auswirkungen verschiedener Beweidungssysteme auf die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen (LIFE18PRE/NL002), gefördert.

Quelle: Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

Für stärkere Synergien zwischen Bienen und Landwirtschaft auf strategisch ausgerichtete Forschung setzen

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Eine Workshop-Konferenz der DAFA beleuchtete den Fortschritt der Forschung zur Verbesserung der Synergien zwischen Bienen (Wildbienen – dazu gehören auch Hummeln – und Honigbienen) und Landwirtschaft). Zukünftige Forschung und Forschungsförderung sollte stärker auf gemeinsames Lernen von Forschung und Praxis setzen sowie betriebswirtschaftliche Aspekte, Zusammenhänge auf Landschaftsebene und subletalen Stress auf Bienen untersuchen.

Zur Verbesserung der Synergien zwischen Bienen und Landwirtschaft empfiehlt die 2020 veröffentlichte Forschungsstrategie der DAFA spezifische Forschungsaufgaben in mehreren Handlungsfeldern.

Zur Nachverfolgung der Strategie beleuchteten im Januar 2024 auf einer Konferenz über achtzig Personen aus Forschung, Landwirtschaft, Imkerei, Verwaltung und Verbänden den erzielten Fortschritt. Die Diskussionen zeigten, dass die Forschung zu Synergien zwischen Bienen und Landwirtschaft wichtige Ergebnisse hervorgebracht hat. Die Umsetzung in die breite landwirtschaftliche und imkerliche Praxis ist verständlicherweise zeitlich verzögert. Deshalb schlagen die Organisatoren als Fazit aus der Konferenz vor, dass Forschungsförderer und Forschende in Zukunft stärker auf Folgendes achten sollten:

• Beim Forschungsdesign stärker auf gemeinsames Lernen von Forschung, imkerlicher und landwirtschaftlicher Praxis und Naturschutz setzen

• Pflanzenbauliche Maßnahmen ökonomisch und ökologisch bewerten

• Wirkungen auch auf Landschaftsebene untersuchen

• Subletale Effekte auf die Vitalität von Wild- und Honigbienen untersuchen

• Forschung und deren Ergebnisse übergeordnet steuern, auswerten und präsentieren

• Die Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU praxistauglich und bienenfördernd gestalten

Damit Forschungsförderung und öffentlich geförderte Forschung auf Ergebnisse und neue Herausforderungen angemessen reagieren kann, sollte eine kritische Betrachtung der Forschungslandschaft nach fünf Jahren wiederholt werden.

Die DAFA ist eine Gemeinschaftsinitiative der deutschen Agrar- und Ernährungsforschung. Ihr gehören über 60 deutsche Universitäten, Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie Bundes- und Landesforschungs-institute an. Das Netzwerk bündelt die Kompetenzen der deutschen Agrarforschung und adressiert landwirtschaftlich und gesellschaftlich relevante Fragestellungen. Wir verfolgen das Ziel, die Leistungsfähigkeit sowie die internationale Sichtbarkeit der deutschen Agrarforschung zu verbessern.

Quelle: Deutsche Agrarforschungsallianz (DAFA)